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post Kommunales Wahlrecht in Hamburg 2018-09-04 10:00:00 +0200 politics district

In diesem Artikel werde ich mich mit dem kommunalen Wahlrecht in Hamburg beschäftigen und versuchen dieses möglichst verständlich zu erklären. Denn alle Wähler*innen sollten verstehen können, wie ausgehend von ihren Wahlstimmen letztlich die Zusammensetzung der Bezirksversammlung bestimmt wird.

Es gibt dabei mehrere Aspekte und Perspektiven auf das Thema. Zunächst gibt es die Perspektive der Wahlhandlung selber. Der Teil ist noch vergleichsweise einfach:

Wahlhandlung

Jede*r Wähler*in kann bis zu fünf Stimmen auf der Wahlkreis- und Bezirksliste vergeben. Im Bezirk Eimsbüttel ist beispielsweise Niendorf ein Wahlkreis. Alle in Niendorf gemeldeten Bewohner*innen können am Wahltag (oder vorher per Brief) für Kandidat*innen auf der Wahlkreisliste stimmen. Auf dem Wahlzettel stehen mehrere Wahlvorschläge mit Kandidierenden. Neben jeder Person sind fünf Kreise zu sehen. Es können fünf Stimmen auf eine Person vergeben werden oder die fünf Stimmen verteilt werden auf mehrere Personen. Dabei ist es auch legitim die Stimmen auf Personen unterschiedlicher Wahlvorschläge zu verteilen. Wichtig ist nur, dass nicht mehr als fünf Stimmen vergeben werden. Auf der Bezirksliste sieht es ähnlich aus. Nur gibt es dort zusätzlich auch fünf Kreise neben dem Namen jedes Wahlvorschlags. Dort ist es also möglich fünf Stimmen einer Liste zu geben, die fünf Stimmen einer Person zu geben, die fünf Stimmen zwischen Listen- und Personenstimmen zu verteilen oder dies sogar über mehrere Listen zu tun. Auch hier ist aus Wähler*innensicht nur wichtig, dass nicht mehr als fünf Stimmen vergeben werden.

Auszählung der Stimmen

Das war es auch schon mit der Erklärung der Wahlhandlung. So schwer ist das also gar nicht. Der interessante Teil aber kommt ja nach Ende der Wahlzeit. Wie setzt sich letztlich die Bezirksversammlung zusammen? Welche Stimmen haben welchen Einfluss?

Dazu erst einmal ein paar Fakten am Rande, die aber sehr relevant werden.

  • Mitglieder in der Bezirksversammlung Eimsbüttel: 51

    • 30 davon werden über Wahlkreismandate vergeben, die übrigen 21 über Listenmandate
  • Wahlkreise im Bezirk Eimsbüttel nach dem Bezirksversammlungswahlgesetz

    • Wahlkreis 1 Eimsbüttel-Nord: 3 Sitze
    • Wahlkreis 2 Eimsbüttel-Süd/Hoheluft-West: 5 Sitze
    • Wahlkreis 3 Rotherbaum/Harvestehude: 4 Sitze
    • Wahlkreis 4 Lokstedt: 3 Sitze
    • Wahlkreis 5 Niendorf: 5 Sitze
    • Wahlkreis 6 Schnelsen: 3 Sitze
    • Wahlkreis 7 Eidelstedt: 4 Sitze
    • Wahlkreis 8 Stellingen: 3 Sitze

Es ist leicht zu sehen, dass die Summe der Wahlkreissitze 30 ergibt. Daraus folgt aber bereits die erste Konsequenz für die Zusammensetzung der Bezirksversammlung. Sollte eine Partei auf der Bezirksliste die absolute Mehrheit der Stimmen bekommen, dann ist ihr die Mehrheit in der Bezirksversammlung garantiert. Wenn jetzt aber diese Partei sehr schlecht in den Wahlkreisen abschneidet, die eine absolute Mehrheit der Bezirksversammlung darstellen, dann hat dies zwangsläufig zur Folge, dass sehr viele zusätzliche Mandate erschaffen werden müssen, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Das ist allerdings ein sehr unwahrscheinlicher Grenzfall. Im Allgemeinen aber gilt, dass die Stimmen auf der Bezirksliste über die verhältnismäßige Zusammensetzung entscheiden und die Wahlkreisstimmen einen Einfluss darauf haben, welche Personen in der Bezirksversammlung sitzen.

Wahlkreisstimmen

Zunächst werde ich hier auf die Wahlkreisstimmen eingehen, da diese bei der personellen Zusammensetzung tatsächlich zuerst ausgezählt werden müssen. Allerdings werden am Wahlabend zunächst die Gesamtstimmen einer Liste auf der Bezirksliste gezählt, damit möglichst schnell klar ist, welche Partei wieviele Sitze bekommt. Nun aber zu den Wahlkreisstimmen.

In diesem Beispiel schaue ich mir die Ergebnisse der Bezirksversammlungswahlen 2014 im Wahlkreis Niendorf an und verdeutliche, wie die Sitze verteilt wurden. Es gab 70.887 gültige Stimmen bei 31.810 wahlberechtigten Bürger*innen, 14.832 Wähler*innen und 14.783 abgegebenen Stimmzetteln, wovon 14.357 gültig waren. Aufgrund der fünf Stimmen pro Stimmzettel hätte es 71.785 Stimmen geben können. Es ist also klar, dass nahezu alle Wähler*innen auch von ihren fünf Stimmen Gebrauch gemacht haben.

Zunächst muss eine sog. Wahlzahl berechnet werden. Diese ergibt sich aus der Menge der gültigen Stimmen geteilt durch die zu verteilenden Sitze (5). In diesem Fall also 14.177,4. Im nächsten Schritt werden die Gesamtstimmen jedes Wahlvorschlags durch diese Wahlzahl geteilt, um zu ermitteln, wieviele Sitze ein Wahlvorschlag bekommt. Das bedeutet also, dass es für eine Partei egal ist, wie sich die Stimmen auf ihrer Wahlkreisliste verteilen. Auch wenn die Stimmen gleichverteilt auf alle Plätze vergeben würden, hätte das für die jeweilige Partei keinen Nachteil.

In unserem Beispiel gab es folgende Stimmverteilung:

  • SPD: 29.629
  • CDU: 20.538
  • Piraten: 1.989
  • FDP: 3.001
  • Die LINKE: 3.495
  • GRÜNE: 9.107
  • AfD: 3.128

Daraus ergeben sich diese Divisionsergebnisse (Standardrundung wird angewendet):

  • SPD: 2,089875436 ~ 2 Sitze
  • CDU: 1,448643616 ~ 1 Sitz
  • Piraten: 0,140293707 ~ 0 Sitze
  • FDP: 0,211674919 ~ 0 Sitze
  • Die LINKE: 0,246519108 ~ 0 Sitze
  • GRÜNE: 0,642360376 ~ 1 Sitz
  • AfD: 0,220632838 ~ 0 Sitze

Wie zu erkennen ist, wurden nur 4 Sitze vergeben. Die Wahlzahl ist also zu hoch. In diesem Fall muss die Wahlzahl verringert werden, bis nach diesem Verfahren genau 5 Sitze vergeben werden. Da immer ab ,5 aufgerundet wird, werde ich die Distanz zur nächsten Aufrundung für jede Partei ermitteln.

  • SPD: 2,5 - 2,089875436 = 0,410124564
  • CDU: 1,5 - 1,448643616 = 0,051356384
  • Piraten: 0,5 - 0,140293707 = 0,359706293
  • FDP: 0,5 - 0,211674919 = 0,288325081
  • Die LINKE: 0,5 - 0,246519108 = 0,253480892
  • GRÜNE: 1,5 - 0,642360376 = 0,857639624
  • AfD: 0,5 - 0,220632838 = 0,279367162

Es ist klar erkennbar, dass die CDU am dichtesten an einer Aufrundung dran ist. Insofern lässt sich die optimale Wahlzahl umgekehrt berechnen. Dafür wird die Stimmzahl der CDU durch 1,5 geteilt, was 13.692 ergibt. Die neue Sitzberechnung ist wie folgt:

  • SPD: 2,163964359 ~ 2 Sitze
  • CDU: 1,5 ~ 2 Sitze
  • Piraten: 0,145267309 ~ 0 Sitze
  • FDP: 0,219179083 ~ 0 Sitze
  • Die LINKE: 0,255258545 ~ 0 Sitze
  • GRÜNE: 0,665132924 ~ 1 Sitz
  • AfD: 0,228454572 ~ 0 Sitze

Letztlich bekommen also sowohl SPD als auch CDU zwei Sitze und die GRÜNEN ein Sitz in Niendorf. Anschließend werden die Sitze jeder Partei auf ihrer Wahlkreisliste in absteigender Reihenfolge der Personenstimmen (Stimmen für eine Person) vergeben. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Position auf der Liste. Weiter im Beispiel Niendorf bleibend:

  • SPD, Marc Schemmel (Platz 1 auf Liste und nach Stimmen): 14.581 Stimmen
  • SPD, Ines Schwarzarius (Platz 2 auf Liste und nach Stimmen): 3.933 Stimmen
  • CDU, Rüdiger Kuhn (Platz 1 auf Liste und nach Stimmen): 9.435 Stimmen
  • CDU, Rüdiger Burg (Platz 2 auf Liste und nach Stimmen): 3.018 Stimmen
  • GRÜNE, Dietmar Kuhlmann (Platz 1 auf Liste und nach Stimmen): 5.216 Stimmen

Anhand des Vergleichs mit den gesamten Wahlkreisstimmen der Partei kann ermittelt werden, wieviele Stimmen auf nicht gewählte Kandidat*innen vergeben wurden. Das zeige ich logischerweise nur für jene Parteien, wo Personen gewählt wurden.

  • SPD: 29.629 - 14.581 - 3.933 = 11.115 Stimmen entspricht 37,5% der Gesamtstimmen
  • CDU: 20.538 - 9.425 - 3.018 = 8.095 Stimmen entspricht 39,4% der Gesamtstimmen
  • GRÜNE: 9.107 - 5.216 = 3.891 Stimmen entspricht 42,7% der Gesamtstimmen

Grob gesagt sind also relativ konsistent 60% der Wahlkreisstimmen auf die gewählten Personen entfallen und 40% auf nicht gewählte Personen. Bei der SPD gab es noch 8 weitere Kandidat*innen, bei der CDU 8 und den GRÜNEN eine.

Bezirksstimmen

Im zweiten Teil werde ich einen Blick auf die Bezirkslisten und die dort abgegebenen Stimmen werfen. Diese bestimmen letztlich wieviele Sitze eine Partei bekommt. Der erste Schritt ist relativ offensichtlich. Es werden die insgesamten Sitze einer Partei in der Bezirksversammlung bestimmt. Dafür wird zunächst die Wahlzahl ermittelt. Dies geschieht analog zu oben durch die Division der zu berücksichtigenden Stimmen mit den zu vergebenden Sitzen. Es gab insgesamt 439.723 gültige Stimmen. Davon müssen die Stimmen all jener Parteien abgezogen werden, die weniger als 3% der Stimmen bekamen (11.835 Stimmen der Piraten). Letztlich bleiben also noch 427.888 zu berücksichtigende Stimmen. Es ergibt sich daher die Wahlzahl 8.389,9608. Im Anschluss werden die Gesamtstimmen jeder Partei durch diese Zahl dividiert und standardmäßig gerundet.

In unserem Beispiel gab es folgende Stimmverteilung:

  • SPD: 146.446 Stimmen
  • CDU: 99.938 Stimmen
  • Die LINKE: 43.169 Stimmen
  • FDP: 19.815 Stimmen
  • GRÜNE: 101.493 Stimmen
  • AfD: 17.027 Stimmen

Daraus ergibt sich folgende Sitzverteilung:

  • SPD: 17,454908729 ~ 17 Sitze
  • CDU: 11,911617036 ~ 12 Sitze
  • Die LINKE: 5,145316054 ~ 5 Sitze
  • FDP: 2,361751202 ~ 2 Sitze
  • GRÜNE: 12,096957592 ~ 12 Sitze
  • AfD: 2,029449291 ~ 2 Sitze

Die Summe ergibt 50 Sitze. Es sind aber 51 Sitze zu verteilen. Daher muss die Wahlzahl verringert werden. Ich erspare mir hier die Ausrechnung der Differenz zum nächsten Aufrundungspunkt. Es ist augenscheinlich, dass dieser bei der SPD am nähesten ist. Insofern wird die Wahlzahl zu oben analog neu berechnet (Stimmzahl der SPD dividiert durch 17,5): 8.368,342857143. Da die SPD am nähesten zum Aufrundungspunkt ist, bekommt sie auch einzig einen weiteren Sitz. Der Vollständigkeit halber aber noch einmal die Sitzberechnung.

  • SPD: 17,5 ~ 18 Sitze
  • CDU: 11,942388321 ~ 12 Sitze
  • Die LINKE: 5,158607951 ~ 5 Sitze
  • FDP: 2,367852314 ~ 2 Sitze
  • GRÜNE: 12,128207667 ~ 12 Sitze
  • AfD: 2,034691968 ~ 2 Sitze

Im nächsten Schritt werden von diesen Sitzen alle abgezogen, die durch die Parteien in den Wahlkreisen errungen wurden. Ich verwende hier schlichtweg die Zahlen des Statistikamts Nord ohne noch einmal für alle Wahlkreise mein Niendorf-Beispiel zu wiederholen.

  • SPD: 18 - 10 = 8
  • CDU: 12 - 8 = 4
  • Die LINKE: 5 -3 = 2
  • FDP: 2 - 0 = 2
  • GRÜNE: 12 - 9 = 3
  • AfD: 2 - 0 = 2

Bei der SPD ziehen jetzt also 8 Personen über die Bezirksliste ein. Nun gibt es aber noch eine Spitzfindigkeit. Da man sowohl der Liste direkt als auch einzelnen Personen eine Stimme geben kann, wird zunächst das Verhältnis der Listenstimmen zu den Gesamtstimmen berechnet. Dieses Verhältnis bestimmt, wieviele Personen über die Listenreihenfolge einziehen.

  • SPD: 8 Sitze * 85.497 Listenstimmen / 146.446 Gesamtstimmen = 4,67050 ~ 5 Sitze
  • CDU: 4 Sitze * 60.011 Listenstimmen / 99.938 Gesamtstimmen = 2,40193 ~ 2 Sitze
  • Die LINKE: 2 Sitze * 29.378 Listenstimmen / 43.169 Gesamtstimmen = 1,36107 ~ 1 Sitz
  • FDP: 2 Sitze * 10.553 Listenstimmen / 19.815 Gesamtstimmen = 1,06515 ~ 1 Sitz
  • GRÜNE: 3 Sitze * 67.374 Listenstimmen / 101.493 Gesamtstimmen = 1,99149 ~ 2 Sitze
  • AfD: 2 Sitze * 12.396 Listenstimmen / 17.027 Gesamtstimmen = 1,45604 ~ 1 Sitz

Die Berechnung der Sitze über Personenstimmen ist trivial:

  • SPD: 8 - 5 = 3 Sitze
  • CDU: 4 - 2 = 2 Sitze
  • Die LINKE: 2 - 1 = 1 Sitz
  • FDP: 2 - 1 = 1 Sitz
  • GRÜNE: 3 - 2 = 1 Sitz
  • AfD: 2 - 1 = 1 Sitz

Da ich ein GRÜNER bin, zeige ich den Einzug über die Bezirksliste am Beispiel der GRÜNEN. Für die anderen Parteien gilt dies analog. Bei dem Einzug nach Listenreihenfolge bestimmt die Reihenfolge auf dem Wahlvorschlag. Die ersten beiden Personen auf der Bezirksliste (Anna Gallina und Volker Bulla) sind bereits durch Wahlkreismandate eingezogen. Die Personen auf 3 und 4 sind noch nicht gewählt, weswegen Stefanie Könnecke und Fabian Klabunde über die Liste einziehen.

Für den Einzug über Personenstimmen ist die Reihenfolge nach Personenstimmen ausschlaggebend. Die ersten 7 Personen nach Personenstimmen sind bereits gewählt (über Wahlkreise oder Liste). An achter Stelle in Personenstimmenreihenfolge steht Ali Mir Agha, der dadurch einzieht. Sein Platz nach Listenreihenfolge war 16.

Fazit

Ich hoffe hiermit deutlich gemacht zu haben, wie anhand der Stimmen am Ende das Ergebnis berechnet wird. Was für Lehren können aus dieser Berechnung gezogen werden? Wenn man auf einem hinteren Listenplatz steht, dann erhöhen sich die Chancen gewählt zu werden je mehr Personenstimmen auf die Liste entfallen. Auch Personenstimmen auf Platz 1 sind somit hilfreich, weil dadurch das Verhältnis der Listen- zu Personenstimmen zugunsten der Personenstimmen verschoben wird. Sollte Platz 1 noch nicht über einen Wahlkreis eingezogen sein, wird dieser aber über Liste einziehen und somit bei dem Einzug über Personenstimmen unberücksichtigt bleiben. Diese Tatsache ermöglicht es, dass auch Personen wie Ali Mir Agha den Einzug in die BV schaffen können, obwohl die GRÜNEN nur 12 Sitze bekommen haben und nur 3 überhaupt über die Bezirksliste zu vergeben waren. Aktuell ist Ali Mir Agha Fraktionsvorsitzender.