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post Bericht von Erster Junisitzung des G20-Sonderausschusses 2018-06-17 10:00:00 +0200 politics G20 /politics/

Die erste Sitzung im Juni fand am 14. Juni statt. In ihr wurde auf die öffentliche Anhörung reagiert und der Freitagabend aufgearbeitet. Letztlich dauerte die Sitzung von 17 Uhr bis 22:33.

Für einen detaillierten Blick auf die Äußerungen sei auf das Wortprotokoll verwiesen. Dieser Bericht schildert meine Eindrücke und beschränkt sich auf einige Kernelemente und Schlussfolgerungen meinerseits.

Tagesordnung Wortprotokoll

Reaktion auf öffentliche Anhörung

Der erste Teil der Tagesordnung befasste sich mit der öffentlichen Anhörung und wurde von den Abgeordneten genutzt, um die aufgeworfenen Fragen an den Senat zu richten. Die Fragen können dabei in die folgenden Komplexe eingeordnet werden:

  • Umgang mit Baustellen im Vorfeld zu G20
  • (Nicht-)Verrammelung von Geschäften
  • Frage der Schulpflicht während G20
  • Umgang mit Notrufen
    • insbesondere mit Meldungen von Feuer
  • Rückkommunikation mit Notruf-Anrufer*innen
  • Erkenntnisse über Brandstiftungen
  • Eindringen in Schulterblatt von Norden her oder über Seitenstraßen
  • Frage des Zeitpunkts der S-Bahn-Sperrung
  • Erkenntnisse zu den Dächern
  • Wartezeit bis zur Räumung
  • Grund für unterschiedliche Wahrnehmungen des Abends
  • Interne Ermittlungen
  • Umgang mit Entschädigungen
  • Fazit zu Hubschraubereinsatz

Einige der inhaltlichen Punkte wurden dann im zweiten Teil der Ausschusssitzung vertiefend behandelt, sodass ich diese Zusammenfassung nicht chronologisch strukturiere, sondern entlang der Hauptfragen zum Einsatz im Schanzenviertel und dort Wortmeldungen aus der gesamten Sitzung jeweils zusammenfasse. Nach den inhaltlichen Komplexen aus dem ersten Teil werde ich die Lageeinschätzung vor Beginn der Ausschreitungen im Schanzenviertel sehr kurz darstellen und noch etwas zu den im Schulterblatt anzutreffenden Personengruppen schreiben. Für die detaillierte Darstellung der Lageentwicklung verweise ich auf das Wortprotokoll.

Bevor ich jedoch zu der Beantwortung der Fragekomplexe komme, noch einige Anmerkungen zum Umgang der Parteien mit der öffentlichen Anhörung. Die LINKE und die GRÜNEN zeigten ein aufrichtiges Interesse an der Aufklärung sämtlicher von den Bürger*innen aufgeworfenen Fragen. Die SPD befand sich etwas in der Mitte und tat sich teilweise mit sehr lobenden Worten zugunsten der Polizei hervor. Die CDU versuchte nur die Äußerungen der Bürger*innen irgendwie in ihre politische Weltsicht zu integrieren und die FDP versuchte sich tatsächlich mal wieder am Datenschutz. Von der AfD einmal ganz zu schweigen.

Umgang mit Baustellen im Vorfeld zu G20

Es wurde mehrfach nach dem Umgang mit Baustellen im Vorfeld zu G20 gefragt. Hintergrund dessen ist die Nutzung von Baumaterialien für militanten Protest. Die mehrfach vorgetragene Vorgehensweise der Polizei war eine Kommunikation durch Bürgernahe Beamt*innen mit den Baustellenbetreiber*innen, in welcher die Betreiber*innen gebeten wurden die Baustellen zu sichern und Bauschutt rechtzeitig abzufahren. Da es sich bei Baustellen überwiegend um private Angelegenheiten handelt, konnte die Polizei also nicht (wie wohl von der AfD vermutet) einfach von sich aus die Baustellen sichern.

Es wurde klargestellt, dass es schlichtweg nicht möglich sei jegliches als Wurfmaterial zu missbrauchendes Material abzufahren. Dann dürfte man auch kein Kopfsteinpflaster haben. Die Aktivitäten am Freitagabend hätten auch gezeigt, mit welchem Einfallsreichtum Wurfmaterial hergestellt würde, sodass ein absoluter Schutz davor schlicht nicht möglich sei.

(Nicht-)Verrammelung von Geschäften

Angesichts der Verwüstungen und Plünderungen im Schanzenviertel stellt sich natürlich die Frage, warum die Geschäfte dort anders als in der Innenstadt nicht verrammelt wurden. Anhand der Antworten des Senats stellte sich heraus, dass die Aussage der Bürger*innen, dass die Polizei nicht zu einer Verrammelung geraten habe, stimmt. Aufgrund der Erwartungen der Polizei wurde schlichtweg nicht davon ausgegangen, dass das Schanzenviertel ein Ziel von Gewalt sein würde, da dies auch dem Aktionskonsens widersprechen würde.

Im Nachhinein ist dies natürlich eine Fehleinschätzung gewesen. Dafür würde ich die Polizei jedoch nicht beschuldigen.

Frage der Schulpflicht während G20

Die Schulbehörde gab die Auskunft, dass mit den Schulen zwei Monate vor G20 begonnen wurde zu sprechen. Es galt eine Lösung, bei der Eltern ihre Kinder von der Schule abmelden konnten und diese Abwesenheit nicht verfolgt würde. Auf diese Weise bestand eine Anwesenheitsquote von 40 bis 80 Prozent. Über die Nummer 115 konnten Schulen in der Behörde anrufen und Informationen erhalten. Die Kommunikation seitens der Behörde fand mit der Ebene der Schulleitungen statt.

Es bestand also Schulpflicht, aber man konnte die Kinder von der Schule abmelden.

Umgang mit Notrufen

Während des Abends gingen etliche Notrufe ein. Aufgrund der hohen Auslastung mussten einige Personen in der Warteschleife warten bis sie den Notruf absetzen konnten. Jede einzelne Meldung zur Schanze wurde an den Führungsstab der Polizei weitergeleitet und dort bewertet. Bei Notrufen mit Feueranteil waren auch Beschäftigte der Feuerwehr einbezogen. Die Feuerwehr konnte ohne die Polizei nicht in die Schanze herein, nachdem auch ein Feuerwehrzug im Norden des Schulterblatts angegriffen wurde.

Jeder Notruf war eine Abwägung, ob auf diesen unbedingt reagiert werden musste. Wenn gemeldete Feuer nach subjektiver Einschätzung der Feuerwehr nicht lebensbedrohlich waren und nicht in Gefahr standen überzugreifen, so meine Interpretation, dann wurde nicht eingegriffen. Herr Dudde beschrieb diese dauernde Einschätzung als Ritt auf einer Rasierklinge. Es hätte immer zu Fehleinschätzungen führen können und es war die konstante Abwägung welche Entscheidung das meiste Leid verursachen würde. Mehrfach wurde betont, dass die Polizei auf jeden Fall eingeschritten wäre, wenn Menschenleben nach der Einschätzung der Polizei/Feuerwehr bedroht gewesen wären. Ein solches Einschreiten wäre dann mit rabiater Gewalt vorgenommen worden, um die Bedrohungssituation für die betroffenen Menschen zu beenden.

Rückkommunikation mit Anrufer*innen

Die vielen Notrufe konnten nicht bearbeitet werden. Dies hat die Polizei sehr frustriert. Viel mehr hat es aber für ein Gefühl der Ohnmacht bei den Betroffenen geführt, die einen Kontrollverlust des Staates wahrgenommen haben. Es wurde die Frage gestellt, ob bspw. die Bewertung der Notrufe individuell den Betroffenen kommuniziert wurde. Dies war nicht der Fall. Es habe auch deutschlandweit noch kein Konzept gegeben, welches eine Art Krisenkommunikation mit den Betroffenen vorsah und ihnen damit Einblick in die polizeiliche Einschätzung der Lage gegeben hätte. Gerade in Fällen von Brandmeldungen wäre es für die Betroffenen sicherlich hilfreich zu wissen, dass die Feuerwehr diesen Brand als nicht bedrohlich eingestuft hat.

In Zukunft wolle die Polizei eine solche Kommunikation aber berücksichtigen.

Erkenntnisse über Brandstiftungen

Nach Erkenntnissen der Polizei gibt es nur drei wesentliche Brandstiftungen. Dies war zunächst die Haspa-Filiale, in welcher der Sicherungskasten brannte, es sich aber kein großflächiger Brand entwickelte. Der Hauptschaden ist durch Verrußung und nach der Räumung durch Löschwasser entstanden. Von außen sei der Brand nicht beobachtbar gewesen. Zudem bestand keine Lebensgefahr, da die Wohnungen über der Haspa unbewohnt waren. Dies war der Polizei zum Zeitpunkt des Brandes aber nicht bekannt. Allerdings erfuhr sie über diesen Brand erst nach der Räumung (vermutlich), weil geäußert wurde, dass bei Bemerken des Brandes eine unmittelbare Räumung angeordnet worden wäre.

Die zweite Brandstiftung fand im Lagerraum des Rewe-Marktes statt, sorgte für einen Schwelbrand und wurde als lebensgefährlich eingestuft. Allerdings wurde dieser Brand erst um 2 Uhr gemeldet und damit nach der Räumung.

Eine dritte versuchte Brandstiftung betraf ein Wohngebäude, welches um 0:30 versucht wurde in Brand zu setzen. Die Feuerwehr war jedoch schnell an Ort und Stelle und konnte mit 760 Litern Wasser diesen Brand löschen, bevor er wirklich begann.

Eindringen in Schulterblatt von Norden oder über Seitenstraßen

Eine der größten Fragen zu G20 ist, warum die Polizei das Schulterblatt nicht über die Nordseite oder bspw. die Susannenstraße, Juliusstraße oder Lerchenstraße eingedrungen ist. Die Kurzfassung ist, dass sie dies sehr wohl versuchte, aber mehrfach scheiterte. Dabei stellte die Eisenbahnbrücke eine taktische Problematik für die Polizei dar, da es für etliche Meter keine Möglichkeit des Schutzes vor Bewurf gab.

Der erste Versuch einer Räumung fand vom Neuen Pferdemarkt aus statt. In einer Stunde hatte die Polizei 20 Verletzte zu beklagen. Der Versuch scheiterte. Über die Lerchenstraße ging ein zweiter Versuch, wo ebenfalls 20 Verletzte in einem Zeitraum von 1,5 Stunden das Resultat waren. Von Norden her fand der dritte Versuch statt, wo 34 Verletzte in einem Zeitraum von einer bis zwei Stunden zustande kamen. Im Norden wurde ein hochenergetischer grüner Laser eingesetzt, wovon 8 Beamte betroffen waren.

Auch eine friedliche Situation konnte schlagartig umschlagen, wenn die Polizei eine Räumung begann.

Frage des Zeitpunkts der S-Bahn-Sperrung

Eine Sperrung des S-Bahn-Verkehrs erfolgte erst sehr spät (meiner Erinnerung nach gegen 22:30). Auf die Frage hin, warum der Verkehr nicht früher unterbrochen wurde, gab es die Antwort, dass der Verkehr bei Räumungen und der Gefahr einer Flucht über die Bahnstrecke gesperrt würde. Ferner werde bei unmittelbarem Bevorstehen einer polizeilichen Aktion gesperrt.

Die Option einer Durchfahrt durch die Haltestelle Sternschanze wurde als nicht sinnhaft eingestuft, da man das "Störerpotential" nach den Erfahrungen des Morgens nicht nach Altona oder in die Innenstadt (Hbf) umleiten wollte. Sie hätten selbstredend dennoch dorthin fahren können, aber das Ziel war eindeutig das Schanzenviertel.

Erkenntnisse zu den Dächern

Nach polizeilichen Erkenntnissen gab es die konkrete Gefahr eines Bewurfs bei einigen Häusern im Süden. Zur Illustration wurde eine Grafik gezeigt mit den Dächern und den Uhrzeiten, zu denen dort Personen festgestellt wurden. Selbst wenn ein Bewurf nur im Süden zu einem Zeitpunkt X möglich war, so hätte sich die Situation schlagartig ändern können, wenn die Polizei eine Räumung von Norden her begonnen hätte. Zumal für eine Räumung selbst von Norden her der Weg nach Süden geführt hätte (meine Interpretation) und somit ein Bewurf weiterhin problematisch gewesen wäre.

Die Aussage des Polizeisprechers Zill, dass viele der Materialien von den Dächern sichergestellt worden wären, könnte allerdings falsch gewesen sein. Es wurde mehrfach gesagt, dass der Reinigungsprozess am Sonntag nach G20 sicherlich viele Spuren vernichtet habe, welche daher durch die Polizei nicht mehr ermittelt werden konnten.

Wartezeit bis zur Räumung

Um 21:30 hat sich die Lageeinschätzung der Polizei geändert und eine Räumung wurde von Herrn Dudde angeordnet. Diese konnte wegen großer Bedenken nicht durchgeführt werden. In Folge wurde der Verantwortliche für die Spezialeinheiten Zorn von Herrn Dudde gefragt, ob diese eine Räumung unterstützen könnten. Dies wurde bejaht. Die lange Wartezeit ergab sich nun daraus, dass die in der Stadt für Antiterrormaßnahmen eingesetzten Kräften erst einmal umgruppiert werden mussten, um für die angeforderte Räumung der Dächer zur Verfügung zu stehen.

Ganz klar war der Grund aber nicht, dass erst einmal die Veranstaltung in der Elbphilharmonie beendet werden musste. Der Beginn der Räumung und die Abreise der Kanzlerin waren reiner Zufall und die zum Schutz der Staatsgäste abbestellten Kräften wurden bei der Räumung nicht verwendet.

Grund für unterschiedliche Wahrnehmungen des Abends

Die Aussagen der Polizei scheinen sich mit den Wahrnehmungen vieler Bürger*innen zu widersprechen. Als Grund wurde mehrfach formuliert, dass die Polizei zu den sogenannten Reizsubjekten zähle und damit sich die Gewalt gegen die Polizei konzentriere. Die Bürger*innen seien davon nicht betroffen und könnten sich daher weitgehend unbehelligt durch das Schulterblatt bewegen und den Eindruck bekommen, dass die Situation gar nicht so schlimm sei.

Interne Ermittlungen

Bis auf zwei Vorfälle seien alle geschilderten Situationen von möglicher Polizeigewalt bereits dem Dezernat für Interne Ermittlungen bekannt gewesen. Die Fälle gliedern sich in sogenannte Prüfsachverhalte und formelle Ermittlungsverfahren. Häufig fehlten aber die Aussagen der Geschädigten, sodass sich eine Ermittlung als schwierig erweise. Auch wenn man selbst die handelnden Polizist*innen nicht erkannt hat, so sei eine Anzeige gegen unbekannt in jedem Fall möglich und sinnvoll, um die Aufklärung zu begünstigen. Ohne konkrete Angaben des Zeitpunkts und Ortes ließen sich die Tathergänge schwer rekonstruieren, selbst wenn es von der Tat eine Videoaufnahme geben sollte.

Umgang mit Entschädigungen

Der Ausschuss wird sich voraussichtlich am 28. Juni mit den Entschädigungen beschäftigen.

Fazit zu Hubschraubereinsatz

Der nervtötende Lärm der Hubschrauber wurde seitens der Innenbehörde anerkannt und hat auch die Polizist*innen naturgemäß akustisch belästigt. In der Zukunft müsse besser auf die einheitliche Einhaltung der Flughöhen, welche maßgeblich zur wahrgenommenen Lautstärke beitragen, geachtet und über alternative Methoden nachgedacht werden. Möglicherweise könnten Drohnen eine Alternative sein.

Lageentwicklung

Zu Beginn des zweiten Teils erklärte der Senat die Lageentwicklung im Vorwege des Freitagabends. In Folge einige Highlights:

  • Staatsgäste wurden über sogenannte Betonstrecke zur Elbphilharmonie gebracht (keine Sonderwünsche wurden berücksichtigt)

  • Versuche ab 13 Uhr in diese Strecke einzudringen

  • Verlagerung der Störer*innen nach Feststellung der Sicherheit der Strecke zum Millerntorplatz

  • von dort gingen 1000 Störer*innen zum Neuen Pferdemarkt

  • bei Veranstaltung auf Reeperbahn gab es 2500 bis 3000 Teilnehmer*innen

  • auch unpolitisch Gewaltbereite waren auf der Reeperbahn-Veranstaltung

  • basierend auf Lageeinschätzung wurde Kräfteaufstellung gemacht

    • starke Kräfte an der Reeperbahn (zur Begleitung der Veranstaltung)
    • Raumschutzkräfte zwischen Altona, Hauptbahnhof und Uhlenhorst (EA Raumschutz), um Abfluss in Innenstadt zu verhindern
  • Herr Ferk betreute die Veranstaltung an der Reeperbahn

  • Herr Grossmann sollte alle Störungen außerhalb der Veranstaltung bearbeiten

  • um 19 Uhr erhielt Herr Grossmann den Auftrag sich um das Schanzenviertel zu kümmern (alle Maßnahmen in Bezug zum Viertel zu beaufsichtigen)

Für die detaillierte Darstellung des zeitlichen Ablaufs verweise ich auf das Wortprotokoll.

Zusammensetzung der Menschen im Schulterblatt

Die Polizei konnte mittels der SOKO Schwarzer Block die einzelnen Gruppierungen, welche im Schulterblatt vertreten waren, ermitteln. Dabei beruhen diese Erkenntnisse aus einzelnen Ermittlungsverfahren, weswegen keine quantitativen Schätzungen zum Zahlenverhältnis gemacht werden können.

Kurz zusammengefasst sind es diese Gruppen:

  • ausländische Störer*innen: Nichtbeachtung des Aktionskonsens und sehr koordinierte Vorgehensweise
  • inländische linke Störer*innen: weniger gewalttätig, haben womöglich Anwohner*innen geholfen
  • Gewalthooligans mit Polizei als Gegner
  • erlebnisorientierte Personen: zum Teil keine Vorstrafen, oftmals Reue, definitiv nicht zufällig vor Ort oder Touristen
  • Gaffer*innen
  • Bewohner*innen

Bei den Plünderungen sind überwiegend männliche Personen unterwegs und nur 3% werden als links eingestuft. Viele sind dennoch polizeibekannt gewesen. Geöffnet wurden die Geschäfte hauptsächlich von ausländischen Störer*innen. Die eigentlichen Plünderungen wurden dann durch zumeist unvermummte Personen durchgeführt.