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title: "Bericht von Aprilsitzung des G20-Sonderausschusses"
date: 2018-04-08 17:00:00 +0200
categories: politics G20
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Am 5. April fand nach der Pause im März die Aprilsitzung
des G20-Sonderausschusses statt. Die Sitzung startete wenige Minuten nach 16 Uhr.
Für einen detaillierten Blick auf die Befragungen sei auf das Wortprotokoll
verwiesen. Dieser Bericht schildert meine Eindrücke und beschränkt sich
auf einige Kernelemente und Schlussfolgerungen meinerseits.
<a href="https://www.hamburgische-buergerschaft.de/contentblob/10796322/a76845dba8741b79e3e4996a098d3105/data/180405-dl.pdf" rel="nofollow">Tagesordnung</a>
<a rel="nofollow" href="https://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/62063/protokoll-der-%c3%b6ffentlichen-sitzung-des-sonderausschusses-gewaltt%c3%a4tige-ausschreitungen-rund-um-den-g20-gipfel-in-hamburg-.pdf">Wortprotokoll</a>
## Ablauf der Sitzung
Wie der Tagesordnung zu entnehmen ist, ging es zunächst (Punkt a) um die operative Umsetzung des
Sicherheitskonzeptes unmittelbar im Vorwege des Gipfels und während des Gipfels. Ebenso sollte
erfragt werden, wie das Konzept im Verlauf des Gipfels aufgrund der tatsächlichen Entwicklung
angepasst wurde.
Im Anschluss wurden zwei konkrete Veranstaltungen besprochen. Dabei begann es in Punkt b) mit
dem hedonistischen Massencornern und der Räumung des Pferdemarktes am 4. Juli. Zum Schluss wurde in
Punkt c) die Demonstration "Welcome to Hell" angeschaut.
Die Sitzung war dann um 23 Uhr zu Ende.
## Grundlegendes
### Versammlungsrecht
Für die Umsetzung des Sicherheitskonzepts war das Element der Versammlungsfreiheit zentral.
Insbesondere das sog. Brokdorfurteil des Bundesverfassungsgerichts spielte eine wichtige Rolle
bei der Planung, denn es schreibt den relevanten Umgang der Polizei mit Veranstaltungen vor.
Nach diesem Urteil gibt es Kooperationsgebot für die Polizei. Der Grundsatz soll also eine versammlungsermöglichende
Rolle und keine verhindernde Rolle sein. Ebenso gibt es ein Differenzierungsgebot. Straffälliges Verhalten von Teilen
einer Veranstaltung darf nicht allen Teilnehmer\*innen der Veranstaltung zur Last gelegt werden. Entsprechende
polizeiliche Zwangsmaßnahmen dürfen sich also nur gegen die konkret straffälligen Personen richten.
Ebenso gelten in Deutschland sehr hohe Hürden für das Verbot von Veranstaltungen. Dafür sind konkrete Erkenntnisse
nötig, die eine erfolgreiche Durchführung der Veranstaltung nicht ermöglichen. Auch Auflagen müssen rechtlich
akzeptabel und sinnvoll sein. Wichtig ist dabei vor allem, dass die Veranstaltungsleiter\*innen diese Auflagen auch
wirksam durchsetzen können müssen.
Für die Anmeldungen von Veranstaltungen ist in Hamburg die Versammlungsbehörde zuständig. Diese kooperiert mit dem
Justiziariat der Polizei. Für G20 fand die erste Demoanmeldung bereits im November 2016 statt.
Im Nachgang einer Anmeldung, die nicht unmittelbar genehmigt werden kann, erfolgen
Kooperationsgespräche, welche als Ziel die Durchführung der Veranstaltung haben. Dabei muss auch ggf. ein Ausgleich
von Grundrechten in Betracht gezogen werden.
Aus Sicht der Polizei sei Hamburg ein versammlungserfahrenes Bundesland mit über 2000 Veranstaltungen in Hamburg. Davon
waren ganze vier gewalttätig, wobei "Welcome to Hell" eine dieser vier Veranstaltungen war. Während der G20-Woche
gab es 149 durchgeführte Veranstaltungen, wovon nur die "Welcome to Hell"-Demonstration gewalttätig war.
### Struktur des Einsatzes
Die Polizei hatte während des G20-Einsatzes zahlreiche Verletzungen zu beklagen. Als Beispiele wurden Dehydrierung
und körperliche Verletzungen genannt. Mehrfach wurde betont, dass der Einsatz sehr komplex gewesen sei und es keine
zentrale Leitstelle gegeben habe, die jedes Detail koordiniert hätte.
Stattdessen war die sog. Besondere Aufbauorganisation Michel (BAO Michel) in 15 Einheitsabschnitte unterteilt. Jeder
Abschnitt wurde von einer Person eigenverantwortlich geleitet. Da niemand 24/7 durcharbeiten kann wurde die Leitungsebene
in zwei Schichten besetzt. Es gab also 30 solche Führungspersonen, die dem Gesamteinsatzleiter Dudde unterstanden.
Nur drei der 30 Personen wurden nicht mit Beamt\*innen aus Hamburg besetzt. Die Einheitsabschnittsführer\*innen haben
ihren Abschnitt nach der Auftragstaktik eigenverantwortlich geführt. Sie haben demnach von Dudde einen Rahmen vorgegeben
bekommen, darin aber selber agiert. Die Führer\*innen der Einheitsabschnitte waren Teil des Führungsstabs. Diesem gehörten
auch noch weitere Berater\*innen an - bspw. von der Versammlungsbehörde.
Grundsätzlich gibt es für polizeiliches Handeln Standardwerke in Deutschland und auch Standardmaßnahmen, die es in jeder
Einsatzlage gibt. Für Spezifika von Einsätzen wird dann eine besondere Aufbauorganisation verwendet. Daher ist das Ziel
eine solche möglichst klein zu halten, um die benötigte Kommunikation möglichst gering und effizient zu halten. Um die
Verwendbarkeit der BAO Michel zu testen wurde sie in der gleichen Struktur (lediglich ohne den Einheitsabschnitt Technik)
bereits zum OSZE-Gipfel verwendet. Etwaige Probleme sollten daher bereits im Vorwege ermittelt werden.
Der Unterschied zwischen der bereits genannten Auftragstaktik und der Befehlstaktik besteht darin, dass in ersterer
nur Rahmenbefehle gegeben werden und jede Leitungsebene eigenverantwortlich innerhalb ihrer Rahmen agiert. Bei der
Befehlstaktik hingegen wird detailliert jede Einzelheit im Vorfeld festgelegt. Eine Befehlstaktik eignet sich daher
beispielsweise für Objektschutz, bei dem die Position jeder Einsatzkraft bis hin zur Blickrichtung festgelegt werden
kann. Für dynamische und nicht vorhersehbare Lagen wird dagegen die Auftragstaktik verwendet, um genügend Flexibilität
vorzuweisen. Teil dieser Flexibilität war auch, dass Einheitsabschnitte anderen Abschnitten untergeordnet werden konnten.
### Planung des Einsatzes
Die Planung des Einsatzes wurde nicht alleinig vom Gesamtleiter Dudde erstellt. Vielmehr wurde sich bei der Erstellung
mit vielen Berater\*innen ausgetauscht. Der Führungsstab traf sich zur Vorbereitung des Einsatzes alle vier Wochen
und die Einheitsabschnittsführer\*innen haben ihre eigene Planung für ihre Abschnitte aufgestellt.
### Durchführung des Einsatzes
Da es nicht genügend Polizeikräfte gab, um alle Abschnitte zu 100% zu füllen, wurden Einsatzkräfte zwischen Abschnitten
hin- und hergeschoben. Lediglich der Grundschutz für den G20-Gipfel, wie der Objektschutz der Messehallen, der Hotels
und zeitweise der Elbphilharmonie war zahlenmäßig davon ausgenommen, da dieser stets gewährleistet sein musste.
Dies spiegelte sich auch im Rahmenbefehl wider, indem zu lesen war, dass die Einsatzkräfte nach den Erfordernissen der
jeweils aktuellen Lage tagesaktuell zugewiesen würden.
Die Einsatzkräfte konnten sich nicht darauf verlassen nur ihre angeforderten Tätigkeiten auszuüben. Am Morgen des Freitag
war die Situation so zugespitzt, dass alle in Hamburg befindlichen Einheiten im Einsatz waren und es keine Reserven
mehr gab, um diese abzulösen. Daher fand die Nachalarmierung durch Dudde am frühen Morgen statt.
### Vertrauensbildung
Für die Auskunftsperson Herr Behrendes ist es wichtig, dass es bei heterogenen Veranstaltungsgruppen um vertrauensbildende
Maßnahmen geht. Die Polizei sollte sich als Unterstützer\*in von bspw. Demos sehen. Bei polizeilicher Planung sollte auf
die Auswirkungen für friedliche Demonstrant\*innen geachtet werden. Die Allgemeinverfügung und die Camp-Verbote können
bei G20 ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass sich die Stimmung unter an sich friedlich eingestellten Menschen
verschlechtert hat.
### Deeskalationseinheit
Das LKA hat eine Deeskalationseinheit, welche sich mit gewaltorientierten Ideologien beschäftigt. Die Beamt\*innen
sollen so innovative Methoden haben, dass sie sich öfters rechtfertigen müssten. Nach einer initialen Ablehnung der
Teilnahme von Mitgliedern dieser Einheit an Kooperationsgesprächen durch die Versammlungsbehörde hat deren Vorgesetzter
eine Anordnung erlassen keine weiteren Versuche zu unternehmen. In der Ausschusssitzung wurde hingegen deutlich, dass
bei späteren Treffen eine Teilnahme potentiell hätte stattfinden können, allerdings sei schlicht keine Anfrage mehr
gekommen.
### Bundespolizei
Außer der Bescheinigung einer guten Zusammenarbeit mit der Bundespolizei konnten oder wollten die Senatsvertreter\*innen
nichts zur Bundespolizei von sich geben. Ein Vertreter des LKA hat nur Hörensagen eines ihm bekannten Bundespolizisten der
Wache Hamburg-Altona wiedergeben können.
## Nachalarmierung
Am Morgen des Freitag wurden die Kräfte vom Hafen (vmtl. Südseite Elbe), welche dort zum Schutz der Infrastruktur
aufgestellt waren, nach Altona verlegt, um auf die Randale zu reagieren. Die Kräfte zum Schutz der Elbphilharmonie
konnten dort nicht bleiben, sondern mussten für den Streckenschutz abkommandiert werden. Die Nachtschicht vom Objektschutz
der Messehallen hatte eigentlich Dienstende, wurde dann aber zur Freihaltung der Elbphilharmonie beordert.
In Folge waren alle Kräfte im Einsatz und es gab keine noch vorhandenen und ausgeruhten Reserven. Zwar hätte Dudde
noch einige Stunden warten können, um zu sehen, ob sich die Lage verbessert. Aber nach einer Alarmierung dauert es auch
noch einige Zeit bis die Kräfte in Hamburg eintreffen. Daher entschloss er sich am frühen Morgen bereits die Alarmierung
weiterer Kräfte zu veranlassen.
## Kleingruppentaktik
Die Kräfte der Polizeikommissariate waren in Altona sehr schnell vor Ort. Allerdings konnten sie mit zwei Streifenwagen
nichts gegen die Gruppe von über 200 Personen unternehmen. Die stärkeren Einheiten waren nicht so schnell verfügbar,
da diese in Antizipation anderer Aktivitäten an anderen Standorten waren. In der Zukunft bräuchte man schnell verfügbare
starke Einheiten und das gab es zu G20 nicht.
## Reaktionszeit von einer Minute
Im Einsatzkonzept sprach der Polizeipräsident Meyer von einer Reaktionszeit von bis zu einer Minute. Diese Aussage würde
er nach heutiger Kenntnis nicht wiederholen. Sie entstand basierend auf noch ambitionierteren Äußerungen der polizeilichen
Planer\*innen ihm gegenüber. Grundlage der Aussage war der Alarmdienst an den Polizeiwachen im Stadtgebiet und der mobilen
Aufstellung des Einheitsabschnitts Intervention.
## Entwicklung von Vertrauenskultur
Die Auskunftsperson Behrendes wurde zur Entwicklung einer Vertrauenskultur befragt. Er führte aus, dass nach etlichen
Studien Vertrauen der Schlüssel zu konfliktarmen Veranstaltungen sei. Im Falle heterogener Gruppen sollten die
friedlichen Teilnehmer\*innen gefördert werden. Pauschale Verbote (Allgemeinverfügung) hingegen belasteten das Klima.
Eine Stärkung der friedlichen Teilnehmer\*innen kann zur Integration gewaltbereiter Kräfte oder zu deren Isolation durch
die Veranstalter\*innen führen.
Grundsätzlich entstünde die meiste Gewalt auf Demos in Interaktionen mit der Polizei. In heterogenen Gruppen muss solche
Gewalt rechtfertigbar sein. Basierend auf umfangreichen Vorabgesprächen und einer Vertrauenskultur wurden noch zu Zeiten
Bonns als Bundeshauptstadt rund 30.000 Autonome durch 30 Polizist\*innen durch die Bonner Innenstadt begleitet. Insgesamt
sollen auf der Demo über 100.000 Menschen gewesen sein. Die Autonomen hätten Gewalt gegen die wenigen 30 Polizist\*innen
in normaler Uniform den übrigen Teilnehmer\*innen gegenüber nicht rechtfertigen können. Schlussendlich blieb die Demo
friedlich.
Ferner sei wichtig, dass Kommunikation Aufgabe von allen ist. Es reiche nicht aus einige gezielte Kommunikationsteams
zu haben, vielmehr müssten alle Polizeikräfte Kommunikation als ihre Aufgabe sehen. Außerdem gelte der Grundsatz
"nach der Demo ist vor der Demo". Es sei daher wichtig die Demo gemeinsam auszuwerten mit den Veranstalter\*innen.
In Bonn gab es ein sog. Bonner Forum Bürger \& Polizei, welches als eingetragener Verein organisiert war und wo regelhaft
der Dialog zwischen der Zivilbevölkerung und der Polizei hergestellt wurde.
Herr Grote erwiderte, dass Welcome to Hell die einzige eskalierte Veranstaltung gewesen sei. Ferner sei sie von Anfang
an klar als militante Veranstaltung geplant gewesen. Eine Kooperation funktioniere außerdem nur bei willigen
Veranstaltungsanmelder\*innen. Darüber hinaus seien viele bei Welcome to Hell gewesen, die sich nicht an einen Aktionskonsens
und Vermittelbarkeit ihrer Gewalt orientierten, weswegen das Bonner Beispiel im Hamburger G20-Fall nicht trage.
## Umgang mit Vermummung
Herr Behrendes wurde auch zur Vermummung befragt. Nach ihm solle der Vermummungstatbestand Gewalt verhindern. Eine frühzeitige
Intervention führe hingegen häufig zu Gewalt, weswegen ein flexibler Umgang mit dem Tatbestand notwendig sei. Es müsse
nicht reflexhaft auf Vermummung reagiert werden.
## Deeskalationskonzept
Es gab kein dediziertes Deeskalationskonzept. Vielmehr erwartete Herr Grote, dass Deeskalation in allen Planungen der
Polizei von Anfang an berücksichtigt wird. Zudem gebe es keinen Regler zwischen Eskalation und Deeskalation, der
gezielt eingestellt werden könne. Stattdessen werde situationsbedingt passend reagiert.
Herr Dudde antwortete auf die Frage nach einem Deeskalationskonzept damit, dass während des G20-Gipfels in Hamburg
der größte Anteil an Kommunikationsmanagern vor Ort war im Vergleich zu allen vorigen Veranstaltungen bundesweit. Außerdem
seien pro Veranstaltung Ansprechpersonen vor Ort gewesen.
## Hedonistisches Massencornern
### Ablauf des Polizeieinsatzes
Aus Sicht der Polizei bestand die Situation beim "hedonistischen Massencornern" aus drei Komponenten. 1) Auf der Grünfläche
beim Grünen Jäger fand eine angemeldete Veranstaltung statt, die vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt war. 2)
Im umliegenden Straßenbereich wurde gecornered mit einem fließenden Übergang zur Veranstaltung. 3) Zu einem Zeitpunkt
bewegten sich einige Menschen auf die Bundestraße "Neuer Pferdemarkt", welche noch für den Verkehr offen war. Dies
stellte also eine Blockierung dar. Nur gegen diese dritte Komponente richtete sich der polizeiliche Einsatz.
Wegen einem vorangegangenen Einsatz standen Polizeikräfte in der Stresemannstraße. Diese forderten Wasserwerfer an.
Dabei ist es wohl zu einem sehr ärgerlichen Kommunikationsfehler gekommen. In der für sie passenden
Richtung kam eine Wasserwerferstaffel an, die allerdings gar nicht für sie gedacht war. Die eigentlich gedachte Staffel
kam aus einer völlig falschen Richtung, was zu Irritationen führte. Der Vertreter der Polizei bat im Ausschuss um
Entschuldigung für diese vollkommen unnötige Aktion.
Aber der Reihe nach. Nachdem der Beschluss getroffen wurde die Straße zu räumen, wurde durch die Wasserwerfer eine entsprechende
Ansage gemacht. Von der Stresemannstraße aus ist die Polizei sehr langsam vorgerückt. Währenddessen kam die zweite
Staffel Wasserwerfer aus der entgegengesetzten Richtung an, bog in den Neuen Kamp ein (Richtung U Feldstraße) und wurde
dort blockiert. Als sich die Polizeikette auf gleicher Höhe befand, wurden einige Beamt\*innen dorthin geschickt, um die
Wasserwerfer zu befreien. Diese setzten ihrerseits Wasser an den Seiten ein, um freizukommen. Sie drehten daraufhin um
und fuhren in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Dabei wurden sie erneut blockiert. Bei der ersten
Räumung, welche 10 Minuten dauerte, hat die Polizei kein Wasser eingesetzt und die Menschen wurden jeweils zunächst
freundlich gebeten die Fahrbahn zu verlassen. Nur wenn dies kein Erfolg zeigte wurde leichte Gewalt angewendet. Bei
Gegenwehr erfolgte der Einsatz des Schlagstocks.
Nach der ersten Räumung begaben sich Menschen wieder auf die Fahrbahn. Daher musste erneut geräumt werden, wobei diesmal
sichergestellt werden sollte, dass keine weitere Räumung nötig sein würde. Nach dem Aufstellen in der Budapester Straße
ging die Kette wieder langsam Richtung Stresemannstraße. Diesmal wichen die Menschen nicht so bereitwillig von der Straße.
An einem Punkt wurde Wasser "abgegeben", allerdings in der leichtesten Form und ohne dass sich dadurch Menschen verletzt
hätten. Die freigeräumte Straße wurde abgesichert durch Polizist\*innen, welche eine Kette zur Grünfläche hin bildeten.
Da die räumenden Kräfte auf Höhe des Neuen Kamp bei der zweiten Räumung beworfen wurden, sind sog. schwache Einheiten
zur Reaktion auf die Grünfläche geschickt worden.
### Einschätzung
Die Menschen auf dem Neuen Pferdemarkt wurden seitens der Polizei als Blockierer\*innen angesehen. Es ist basierend
auf den gesamten Schilderungen im Ausschuss aber wahrscheinlich, dass zumindest ein Großteil dieser blockierenden
Menschen gar nicht diese Intention hatten und schlichtweg davon ausgingen, dass die Straße bereits gesperrt war.
Der Polizeiverband in der Stresemannstraße konnte derartig missinterpretiert werden.
Für die gemäßigten Menschen in der Stadt ist diese Polizeiaktion wahrscheinlich ein Einschnitt gewesen. Denn sie hat
den Eindruck erweckt, dass die Polizei selbst bei friedlichem Protest hart einschreitet. Für die ohnehin gewaltorientierten
Menschen hätte aber wahrscheinlich selbst das beste Polizeiverhalten nicht genügend geändert.
## Welcome to Hell
Um diese Demonstration, den dazugehörigen Polizeieinsatz und die anschließende Eskalation ranken sich viele Erzählungen,
Einschätzungen und Wahrnehmungen. Im Folgenden versuche ich basierend auf den Schilderungen im Ausschuss den Ablauf
des Polizeieinsatzes und dessen Vorbereitung zu erläutern, sowie weitere Punkte aus der Befragung zu behandeln.
Im Anschluss daran folgt eine Einschätzung meinerseits.
### Kooperationsgespräche, Auflagen
Es gab einige Kooperationsgespräche mit den Anmelder\*innen. Allerdings musste nicht erheblich viel geklärt werden,
da die Route nicht problematisch für die Polizei war. Es gab zwar klare Hinweise darauf, dass diese Demo gewalttätig
werden könnte, aber nichts, was ein Verbot gerechtfertigt hätte. In einer intensiven rechtlichen Prüfung seien laut
Polizei keine Auflagen gefunden worden, die möglich gewesen wären. Wie bereits eingangs erwähnt müssen Auflagen
sinnvoll sein. Eine Auflage keine Glasflaschen mitzuführen wäre rechtlich nicht akzeptabel, da die Veranstaltungsleiter\*innen
diese Auflage unmöglich kontrollieren könnten und sich somit zwangsläufig strafbar machen würden. Eine Auflage sich an
geltende Gesetze zu halten macht offenkundig wenig Sinn.
Die Polizei hat sich daher dagegen gewendet, dass der Mangel an Auflagen als Intention, die Demonstration gar nicht
laufen zu lassen, gewertet wird.
Ferner wurde von der Polizei betont, dass die Linie sich gegenüber anderen Veranstaltungen nicht verändert hat. Daher
befand sich auch eine sichtbare Präsenz am Aufstellungsort, welche verhindern sollte, dass sich einzelne Gruppen vor
offiziellem Start des Aufzugs absetzen. Es wurde auch erläutert, dass die Polizei wegen Einzelpersonen nicht gegen
den gesamten Aufzug vorgehen würde. Wenn die Polizei Probleme feststelle, müssten immer zuerst die Veranstaltungsleiter\*innen
einwirken. Erst wenn dies nicht den gewünschten Erfolg bringe, würde die Polizei aktiv werden. Außerdem müsse die Polizei
15 Minuten vor Beginn des Aufzugs Bescheid wissen, um Verkehrssperrungen in die Wege leiten zu können.
Am Tag der Demonstration fand um 16:16 das erste Kooperationsgespräch statt. In dem Gespräch wurde wohl deutlich,
dass die Anmelder\*innen sich darum sorgten, dass der Aufzug nicht wie von ihnen geplant verlaufe. Um 18:30 fand das zweite
Kooperationsgespräch statt. Die Leiter\*innen äußerten Zustimmung für eine starke Polizeipräsenz.
### Operative Vorbereitung des Einsatzes
In Antizipation von Ausbrecher\*innen aus der Demo und Gewalt nahe von sog. Reizobjekten wurden Polizeikräfte
über den Laufweg verteilt. Die Polizei rechnete basierend auf den Aufklärungserkenntnissen und den Äußerungen der
Anmelder\*innen damit, dass die Demonstration auf jeden Fall loslaufen werde.
Um 16 Uhr wurde eine Hundertschaft von dem Einheitsabschnitt von Herrn Großmann zur Flutschutzmauer beim Fischmarkt
gesendet, um diese freizuhalten. Um 16:12 meldete diese allerdings, dass die Freihaltung nicht durchgeführt werden
könne, da sich viele Menschen dort aufhielten. Eine Räumung hätte nur mit Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden können.
Die Menschen wurden als von der Veranstaltung unabhängig sich dort aufhaltende Menschen gewertet und daher wurde
auf diese Eskalation seitens der Polizei verzichtet.
Kurz vor 19 Uhr wurden sog. schwache Kräfte auf der Flutschutzmauer und am Hang (Nordseite der Straße) positioniert.
### Durchführung des Polizeieinsatzes
Um 19 Uhr begann die Aufstellungsphase für die Demonstration. Dabei sind Menschen bis zu den bereits stationierten
Polizeikräften bei der Flutschutzmauer aufgerückt. Im Vorfeld war kommuniziert worden, dass die Aufstellung auch weiter
hinten sein kann, falls bspw. Bilder ohne die Polizei gemacht werden sollen. Aufgrund von aufgefundener Vermummung in
erheblichem Maße (in den beiden schwarzen Blöcken ganz vorne) wurde in einem dritten Kooperationsgespräch darauf
hingewiesen, dass nach Abnahme der Vermummung der Aufmarsch losgehen könne. Dabei erbat offenbar Beuth ausdrücklich
eine seitliche Begleitung.
Kurz nach 19 Uhr wurden Durchsagen an die vermeintlich Unbeteiligten auf der Flutschutzmauer und Umgebung gerichtet mit
der Bitte den Bereich zu verlassen. Im Anschluss an das Kooperationsgespräch hat ein kleiner Teil der Menschen
vor dem ersten Lauti die Vermummung abgenommen. Dafür haben sich weiter hinten deutlich mehr Leute vermummt.
Um 19:16 wurden dann Durchsagen durch die Polizei mittels Wasserwerfer unternommen. Damit die Inhalte auch weiter
hinten vernommen werden können, wurden auch Wasserwerfer von den Polizeikräften an der Breiten Straße Richtung Aufmarsch
geschickt.
Gleichzeitig erging der Auftrag sich auf eine Separierung des schwarzen Blocks von dem "bunten" Teil der Demo vorzubereiten.
Zu diesem Zweck wurden einige Polizeikräfte links (in Aufmarschrichtung) an den Blöcken vorbeigeschickt, um dann bei
der Durchführung der Separierung an Ort und Stelle zu sein. Diese Kräfte wurden angegriffen als sie an dem Aufzug vorbeigingen.
Die Vorbereitung der Separierung war den Demonstrationsteilnehmer\*innen nicht bekannt.
Da die Polizei davon ausgegangen war, dass die Demonstration normal losgeht und keine Separierung gleich zu Beginn nötig
wäre, waren die für dieses Manöver nötigen Polizeieinheiten gar nicht vor Ort. Es verging also einige Zeit während
die Polizei diese Kräfte zum Fischmarkt führen musste. Es war der Polizei bewusst, dass sie unter Zeitdruck steht, da die
Situation nicht auf Dauer stabil bleiben würde, wenn es nicht weitergeht.
Schließlich fiel die Entscheidung zur Separierung. Der erste Teil der Separierung verlief dabei nach Plan. Eine Polizeikette
trennte den "bunten" Teil von dem hinteren Ende des schwarzen Blocks. Als der "Wellenbrecher" in der Mitte des schwarzen
Blocks eingezogen werden sollte, wurden diese Kräfte von beiden Seiten angegriffen. Außerdem starteten Angriffe von der
Flutschutzmauer aus. In Folge mussten stärkere Kräfte auf der Flutschutzmauer positioniert werden, um die Angriffe
abzustellen.
Um 20:16 sonderte sich die erste Gruppe ab. Der Einheitsabschnitt Gegenveranstaltungen kümmerte sich um zwei neue
Aufzüge, die sich aus den übrigen Teilnehmer\*innen formierten. Zeitgleich musste sich der Einheitsabschnittsführer
Großmann um die gewalttätigen Gruppen kümmern.
### Rolle Rote Flora
Mehrfach wurde von der CDU und der AfD nach der Rolle der Roten Flora bei der Demonstration gefragt. Der Senat antwortete
daraufhin, dass die Flora zwar in der Vorbereitung beteiligt war, die Demo auch anmeldete und dafür mobilisierte, aber
für die Eskalation nicht verantwortlich war. Das Ziel der Flora sei ein Losgehen der Demonstration gewesen, der Umgang
mit Vermummung seitens der Polizei war hinlänglich bekannt und das nicht erfolgte Ablegen der Vermummung sei Beweis
dafür, dass weder Blechschmidt noch Beuth steuernden Einfluss auf einen Großteil des schwarzen Blocks hatten.
### Kommunikation und hypothetische Verläufe
Das weitere Vorgehen für den "bunten" Teil wäre nach erfolgter Separierung angekündigt worden. Der Teil hätte
über eine kleine Umleitung der angemeldeten Route folgen können. Wenn der schwarze Block nach der Separierung die
Vermummung abgelegt hätte, dann wäre der Aufmarsch auch normal fortgesetzt worden. Andernfalls wäre eine Feststellung
der Personalien durchgeführt worden und die Personen hätten die Vermummungsgegenstände abgeben müssen. Anschließend
hätten sie gehen können.
### Einschätzung
Ich kann die Logik der Polizei nachvollziehen. Wer lediglich friedlich demonstrieren möchte und ggf. sich schwarz
kleidet dabei, hätte kein Problem gehabt die Vermummung abzulegen bzw. gar nicht erst anzulegen. Nach mehrfacher
Aufforderung dies nicht zu tun führt zum Schluss, dass die Eskalation von diesen Personen gezielt herbeigeführt
wurde. Denn es gibt kein Recht auf Vermummung, vielmehr ist es in Hamburg sogar eine Straftat.
Die Ursache des Polizeieinsatzes sind für mich unstrittig diese Personen im schwarzen Block. Auch die Personen auf
der Flutschutzmauer waren offenbar keine Unbeteiligten, vorbereitet und willens militant zu agieren. Insofern folge
ich der Aussage der Polizei, auch wenn deren Artikulation sehr zu wünschen übrig lässt.
Ich kritisiere aber den Polizeieinsatz dennoch, da dieser nach meiner Auffassung nach keineswegs "alternativlos" war.
Nach eigener Aussage war die Polizei auf alles Erdenkliche vorbereitet. Warum nicht also die Vermummung ignorieren, die
Demo losziehen lassen und dann eingreifen, wenn es zu Gewalt kommt?
Wohl wissend, dass die Polizei im Recht wäre einzugreifen.
Die Kommunikation durch die Polizei lässt auch sehr zu wünschen übrig. Wasserwerfer als friedliches Kommunikationsmittel
im "bunten" Teil zu verwenden, ist schlicht und ergreifend äußerst dämlich. Warum nicht die Lautsprecheranlage auf
der aufgestellten Bühne verwenden? Außerdem hätte der hintere Teil über die Vorgänge am vorderen Teil der Demo konstant
informiert werden müssen. Auch das ließe sich problemlos durch Kommunikationsteams erreichen, die für die Kommunikation
und Erklärung von polizeilichen Maßnahmen zuständig wären.
Es ist allerdings müßig über die hypothetischen Fälle zu spekulieren, da keine Person weiß, was passiert wäre. Weder
die Polizei noch ich noch jemand anders. Allerdings hätte es sich gelohnt über die real vorgekommene Polizeigewalt
im Einzelfall zu reden. Das Problem dabei ist für die Polizei dabei natürlich, dass etwaiges Fehlverhalten sehr
wahrscheinlich nicht zentral befohlen wurde und daher die Polizei im Ausschuss wenig aufklären könnte. Es wäre aber
für die Heilung hilfreich gewesen, wenn angesichts dieser ja in Teilen durch Bild- und Videomaterial belegten Einzelaktionen
um Entschuldigung gebeten worden wäre und gesagt worden wäre, wie die Polizei gedenkt in Zukunft solches Fehlverhalten
bei geschlossenen Einsätzen (Einsätzen in Hundertschaften, etc) zu verhindern.
Deutlich wurde auch, dass die Polizei scheinbar kein besonderes Verständnis von Deeskalation in solchen Situationen hat, wo
sie zwar im Recht wäre einzugreifen, dies aber womöglich für den friedlichen Verlauf der Demo unklug wäre.
Zum Schluss möchte ich festhalten, dass die Umsetzung der Polizeiaktion kritisiert werden kann und auch die Separierung
zu dem Zeitpunkt an sich. Militanter Protest ist trotz dessen nicht zu rechtfertigen, denn die vielen anderen friedlichen
Demos zeigen, dass friedliche Demos nicht von der Polizei gestört werden. Hintergrund aller kritischen Polizeiaktionen,
welche nicht auf eigene Faust von einzelnen Polizist\*innen durchgeführt wurden, ist in allen mir bisher bekannten Fällen
eine strafbare Handlung gewesen.