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title: "Bericht von Zweiter Junisitzung des G20-Sonderausschusses"
date: 2018-06-23 10:00:00 +0200
categories: politics G20
parent_link: /politics/
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Die zweite Sitzung im Juni fand am 21. Juni statt. In ihr wurde sich mit dem 8. Juli und der GESA beschäftigt. Die geplante
Behandlung der Erkenntnisse der SOKO Schwarzer Block konnte aus Zeitgründen nicht mehr stattfinden.
Für einen detaillierten Blick auf die Äußerungen sei auf das Wortprotokoll
verwiesen. Dieser Bericht schildert meine Eindrücke und beschränkt sich
auf einige Kernelemente und Schlussfolgerungen meinerseits.
<a rel="nofollow" href="https://www.hamburgische-buergerschaft.de/contentblob/11217096/570fe65f06bf9779413c66a7bf9ad60a/data/180621-dl.pdf">Tagesordnung</a>
<a href="https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/63048/.pdf"
rel="nofollow">Wortprotokoll der Bürgerschaft</a>
## Behandlung von Journalist\*innen
Zu Beginn ging es abschließend um den Umgang mit Journalist\*innen am 7. Juli. Das Dezernat für Interne Ermittlungen (DIE)
kennt zehn Vorwürfe, wovon 2 in strafrechtliche Ermittlungen mündeten und 8 sogenannte Prüfsachverhalte waren. Eines
der beiden Strafverfahren wurde mangels konkreter Erkenntnisse eingestellt. Allgemein sei es ein Problem Personen als
Journalist\innen zu erkennen in der jeweiligen Situation. Bei den Ermittlungen sei es auch nicht einfach die betroffenen
Journalist\*innen konkret herauszufinden.
Es fand ein Treffen zwischen dem Polizeipräsidium und dem deutschen Journalistenverband statt. Dabei wurden Kritik
ausgetauscht und die an die Einsatzkräfte gehenden Infos vorgestellt. Außerdem wurde das Akkreditierungsverfahren
angepasst. Jegliche Kritik sollte gemeldet werden, damit es an das DIE weitergegeben werden könne.
Journalist\*innen seien nicht das Ziel von polizeilichen Maßnahmen gewesen, aufgrund der Nähe zum Geschehen seien sie
aber teilweise mitbetroffen gewesen.
## Ereignisse am 8. Juli
### Großdemo am 8. Juli
Der Senat habe die Großdemo im Vorfed als potentiell gewalttätig eingestuft. Dies basierte u.a. auf der mangelnden
Bereitschaft der Anmelder\*innen sich von militanten Gruppen zu distanzieren. Im Nachhinein seien alle froh gewesen,
dass es nicht zur möglichen Gewalt gekommen ist. Nach Einschätzung des Senates und der Polizei war die Stimmung
zugunsten von Gewalt nach den Ereignissen des Freitagabends deutlich geringer. Die Position des "schwarzen Blocks"
innerhalb der Demonstration (hinten) habe ebenfalls zum friedlichen Verlauf beigetragen, da diese Gruppe somit nicht
prägend auftreten konnte.
Die Aufstellung der Demonstration fand auf dem Deichtorplatz statt. Von dort ging die Route über die Ost-West-Straße zur
Reeperbahn. Dann machte sie eine kleine Runde und endete auf dem Millerntorplatz. Der Beginn der Veranstaltung war
um 10:49 und die Spitze setzte sich um 13 Uhr in Bewegung. Der letzte Rest der Demo verließ den Deichtorplatz über eine
Stunde später.
In der Demo sei hauptsächlich bürgerliches Klientel festgestellt worden. Allerdings auch eine kurdische Gruppe. Einmal
musste die Demo angehalten werden, da verbotene Symbole gezeigt wurden. Dies lies sich aber schnell lösen und die Demo
konnte weiterziehen. In der Demo wurden 4.500 Menschen als gewalttätig eingestuft. Es gab drei Blöcke mit diesen
Personen, die aber allesamt nicht prägend waren. Auf der Höhe dieser Blöcke lief beidseitig Polizei mit, um eine
Eskalation verhindern zu können. Aus diesen Blöcken wurde im Einzelfall Pyrotechnik gezündet. Es wurde aber nicht gegen
den gesamten Aufzug wegen dieser einzelnen Handlungen vorgegangen.
Der Einsatzabschnitt Eingreifkräfte war zur Sicherheit an den wichtigen Kreuzungen positioniert, um im entsprechenden
Fall schnell eingreifen zu können. Die Notwendigkeit hat sich allerdings für die Dauer der Demo nicht ergeben.
Gegen eine Gruppe von 150 Personen, welche Sachbeschädigungen im Umfeld der Demo vornahm, wurde vorgegangen. Nachdem
die Polizei attackiert wurde, habe sie Schlagstöcke und Wasserwerfer eingesetzt. Es habe keine Solidarität mit den
gewaltätigen Personen gegeben, sodass es insgesamt nicht zu einer Eskalation kam. Gegen Ende der Demo sei nochmals
ein Einsatz von Schlagstöcken und Wasserwerfern notwendig geworden, nachdem die Polizei beim Versuch einer Festnahme
bedrängt wurde.
Nach Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) war eine Gruppe Italiener\*innen insbesondere als
gefährlich einzustufen. Die Polizei habe daher besonderes Augenmerk darauf gelenkt. Der Vorwurf des Racial Profiling
wurde schärfstens zurückgewiesen und betont, es sei nur verhaltensbasiert kontrolliert worden. Nach meinem Verständnis
war die gemeinte Aussage der Polizei, dass sie bei italienisch aussehenden Personen insbesondere auf verdächtiges
Verhalten geachtet hat. Die Kontrolle wäre dann immer noch alleine basierend auf dem Verhalten geschehen, aber die
bei der Beobachtung des Verhaltens wäre fokussierend gewesen.
Eine EU-Parlamentarierin wurde in Gewahrsam genommen. Da die Identitätsfeststellung und Prüfung ihrer Immunität nicht
vor Ort finalisiert werden konnte und einige weitere Personen in Gewahrsam auf Toilette mussten, ist die Polizei dann
zur GESA gefahren, wo die Identität der Parlamentarierin geklärt und sie schließlich freigelassen wurde.
### Räumung Schanzenviertel
Am Abend des 8. Juli wurde das Schanzenviertel geräumt. Dabei ist nichts dramatisches passiert. Eine Beweis- und
Festnahmeeinheit aus Bayern hielt das Centro Sociale für die Koordinierungsstelle der militanten Gruppen. Nach Konsultierung
von ortskundigen Personen hat der Führungsstab der Polizei jedoch keine Maßnahmen ergriffen, da die Einschätzung der bayrischen
Einheit sehr wahrscheinlich nicht der Realität entspreche.
Spezialkräfte wurden auf Reserve vorgehalten, damit im Fall der Fälle nicht noch einmal so lange wie am Freitag
gewartet werden müsste. Allerdings wurden sie nicht benötigt und auch nicht verwendet.
### Gerichtsurteile
Es sind einige Gerichtsurteile mit klaren Worten gegen die Polizei ergangen. Da diese aber noch nicht rechtskräftig
seien und eine schriftliche Begründung noch nicht vorliege, könne sich die Polizei dazu nicht äußern.
## Gefangenensammelstelle (GESA)
### Vorbereitung
Da mit Ausschreitungen zu rechnen war, würden Ingewahrsamnahmen und Festnahmen in größerem Ausmaß nötig werden. Dafür
sei ein Gebäude mit entsprechenden Dimensionen nötig gewesen, dass es aber in der Form nicht gegeben habe. Zur Recherche
habe man nach Bayern geschaut, wo in Elmau der G7-Gipfel stattfand. Aufgrund des höheren Bedarfs habe man aber die
dortige Installation einer GESA nicht ohne Änderung übernehmen können. Desweiteren sei ein hoher rechtsstaatlicher
Standard nötig gewesen. Dies erforderte demnach genug Räume für Anwalt-Mandanten-Gespräche, medizinische Versorgung
und Ernährung.
Die GESA bot schließlich 400 Plätze, aufgeteilt in 250 für Ingewahrsamnahmen und 150 für Festnahmen. Es gab 50 Einzelzellen
für Festnahmen. Es mussten 117 Container extra hergestellt werden, die übrigen wurden von einer ausrangierten Unterkunft
für Geflüchtete übernommen. Die Kosten beliefen sich auf rund 5 Millionen Euro.
Der Innen- und Justizausschuss konnte sich die GESA im Vorwege des G20-Gipfels anschauen. Die nationale Stelle zur Verhütung
von Folter hat sich ebenfalls die GESA im Vorwege angesehen und drei Mal während des Betriebes.
Laut Gesetz sind 3,80 Euro pro Mahlzeit pro Person vorgesehen. Stattdessen
habe man einen höheren Standard geschaffen, sodass alle gefangenen Personen die gleichen warmen Mahlzeiten erhielten
wie die Polizei- und Justizbeamt\*innen.
Insgesamt waren 1700 Kräfte aus anderen Bundesländern im Einsatz. Sie wurden teils mehrfach geschult und auf die
Hamburger Besonderheiten hingewiesen. Es waren 600 Kriminalbeamt\*innen im Einsatz, wovon über 380 für die Organisation
zuständig waren. Zur Dokumentation wurde ein elektronisches Verwahrbuch verwendet. Für den Umgang mit der Software
wurden 180 Beamt\*innen der Kriminalpolizei geschult.
Es waren nie mehr als 172 Menschen gleichzeitig in der GESA untergebracht. Insgesamt wurden 424 Personen in der GESA
festgehalten, davon 196 Festnahmen und 228 Ingewahrsamnahmen.
Eine rettungsdienstliche Erstbetreuung und später auch Unfallchirurg\*innen waren vor Ort. Ebenso waren Rechtsmediziner\*innen
anwesend. Es gab zwei ärztliche
Räumlichkeiten und insgesamt wurden 204 medizinische Maßnahmen durchgeführt an 112 Personen.
Die durchschnittliche Dauer bis zur ersten Versorgung mit Getränken belief sich auf 3 Stunden und 16 Minuten.
Zu Beginn gab es vier Rechtsanwalts-Container, später dann 9 Container. Außerdem gab es sechs Telefonplätze, an denen
die Nummer des anwaltlichen Notdienstes und die relevanten Auszüge der Gelben Seiten auslagen. Es gab 495 Rechtsanwaltskontakte
und die entsprechende Kontaktaufnahme fand durchschnittlich vier Stunden nach Ankunft in der GESA statt.
### Probleme bei Durchführung
Es ist aber auch zu einigen Problemen gekommen. Die für die Dokumentation angedachten Handscanner, mit denen die Barcodes
gescannt werden sollten, um dann Vorgänge im elektronischen Verwahrbuch zu dokumentieren, funktionierten irgendwann
nicht mehr. Die alternativ verwendeten Handzettel wurden nicht ordentlich geführt. Es stellte sich dadurch heraus,
dass die Software für den polizeilichen Alltag geeignet sei, nicht aber für Großlagen wie die GESA. Ein Datenexport
sei ebenfalls nicht möglich.
Rund zwei Drittel aller Durchsuchungen beinhalteten völlige Entkleidungen. Dies sei erheblich zu hoch gewesen und im
Einzelfall nicht zu rechtfertigen. Die Dokumentation sei ebenfalls vernachlässigt worden, sodass sprachliche Ungenauigkeiten
vorgekommen seien. Beispielsweise sei eine Entkleidung mit weiterhin angezogener Unterwäsche auch als völlige Entkleidung
dokumentiert worden.
Die Verwahrung in der GESA habe zudem zu lange gedauert mit durchschnittlich 25 Stunden und 18 Minuten bei weiterer
Verwahrung und 13 Stunden 59 Minuten bei Freilassung. Die Überstellung zur GESA dauerte ebenfalls zu lange. So waren
die Ingewahrsamnahmen vom Freitagmorgen erst 7 Stunden später in der GESA in Harburg angekommen. Auch die Wartezeit
auf einen Gerichtstermin sei zu hoch gewesen.
Ebenfalls sei die Möglichkeit der Ausgabe von Matrazen, welche ein neuer Standard waren, nicht an die Gefangenen mitgeteilt
worden. In Zukunft wird jedes Polizeikommissariat mit Matrazen ausgestattet.
### Vorwürfe
* **Schlafentzug**: wurde zurückgewiesen; halbstündliche Lebendkontrollen und minimales Licht in der Nacht seien gesetzlich
vorgeschrieben
* **mangelnde Ernährung**: zurückgewiesen; es kann aber sein, dass das Essen Leuten nicht schmeckte
* **Durchsuchung nach Gespräch mit Rechtsanwalt**: entsprechende Durchsuchungen sind Standardprozedere, da Kontakt nicht
überwacht
* **medizinische Versorgung nicht gewährleistet**: zurückgewiesen; ein Fall hatte eine Nasenfraktur, bei der regelhaft die
Behandlung erst später erfolgt
## Außenstelle des Amtsgerichts
Die Justizbehörde hat im Vorwege das Strafjustizgebäude und die Untersuchungshaftanstalt angesehen, welche kapazitär
und logistisch für G20 geeignet wäre. Allerdings war die Zufahrt aufgrund der Nähe zum Messegelände nicht praktikabel.
Es wurde sich daher nach einem alternativen Standort für das Haft- und Schnellgericht umgesehen. Das Amtsgericht Harburg
wurde erwägt, aber dies war auf die Kapazitäten nicht ausgerichtet als Stadtteilgericht.
In Folge dessen wurde die Außenstelle des Amtsgerichts im gleichen Komplex wie die GESA eingerichtet. Es wurde aber auf
eine strikte Trennung Wert gelegt, da es verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Nähe von Exekutive und Judikative gab.
Die Aufnahme für Untersuchungshaft war während der Tage in der JVA Billwerder. In Vorbereitung von G20 gab es einige
Verlegungen. Außerdem wurde Hanöversand wieder temporär in Betrieb genommen. Ebenfalls wurde mit anderen Ländern
kooperiert.
Das laufende Haftgericht (8 Richter\*innen) musste während G20 den normalen Alltag bewältigen und zusätzlich die GESA-Fälle.
Da alle verantwortlichen Richter\*innen an der Außenstelle waren, wurden auch die normalen Verhandlungen außerhalb des
G20-Kontextes dort veranstaltet. Im Vorfeld musste auch viel an Personal eingestellt werden, was nicht ohne Probleme
war. Auch die technischen Voraussetzungen mussten geschaffen werden. Es gab 8 Säle, vier Rechtsanwaltsräume und einen
großen Raum für Rechtsanwälte zum Kopieren und Faxen.
Vom 29. Juni bis 9. Juli gab es einen Bereitschaftsdienst rund um die Uhr in drei 8 Stunden Schichten mit je 8
Richter\*innen. Während der Gipfeltage haben erfahrene Richter\*innen die Verhandlungen geführt. Aufgrund der
großen Menge waren aber auch viele freiwillige Richter\*innen im Einsatz. An den Gipfeltagen gab es 270 Anhörungen.
## Schlussbemerkungen
Die wichtigsten Elemente habe ich wiedergegeben. Die Lektüre des Wortprotokolls lohnt sich aber in jedem Fall, wenn
man noch viel tiefer in die Details einsteigen möchte. Die habe ich zwar auch protokolliert, aber möchte nicht so
lange am Bericht sitzen, wie die Sitzung dauerte. Insbesondere wird am Ende noch einmal der Vorgang mit dem Bus der
Falken geschildert und dass es dort an mehreren Stellen zu Kommunikationsfehlern kam.